„Unsere Helden sind die Musiker“

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Musik ist Kuba. Kuba ist Musik. Das war zur Kolonialzeit nicht anders als vor und nach der Revolution Castros und gilt bis heute. So sind auf der karibischen Insel zahlreiche Musikstile entstanden, einige davon sind in der ganzen Welt beliebt geworden. Überall in Kuba ist Musik ein nicht wegzudenkender Bestandteil des täglichen Lebens.

Roberto Santamaria ist einer dieser Herzblut-Musiker der Zuckerinsel. Aufgewachsen im schwarzen Stadtteil Jesus Maria von Havanna, wo Celia Cruz auf den Tischen tanzte und die afrokubanische Rumba unter die Haut geht. Nicht minder passioniert ist Patrick Siben, der mit den Stuttgartern Salonikern ein Programm zwischen Volksmusik und Klassik entwickelte und für Originalnoten vergangener Komponisten brennt. Die Beiden trafen und verstanden sich, reisten nach Kuba und begannen mit einer Recherche, die Einzigartiges über die kubanische Musik zutage förderte.

Mit der Unterstützung von Olavo ….., bekanntester Musikologe Kubas und promoviert an der Humboldt-Universität in Berlin, entstand eine musikalische Reise durch zwei Jahrhunderte kubanische Musik.

Ein Gespräch mit den drei Musikexperten über Kubas größten Schatz:

Olavo: Welches sind die bekanntesten Komponisten der Welt?

Patrick: Mozart, Bach, Beethoven, Händel

Roberto: Wagner, Strauss ….. Wow, alles Deutsche!

Olavo: Richtig. Aber: warum fallen den Menschen nur europäische oder vielleicht auch US-amerikanische Musiker ein? Bei uns in der Karibik wurde Musik nicht aufgeschrieben. Ein Großteil der modernen Musik hat ihren Ursprung in Kuba. Doch außer Buena Vista Social Club sind keine Namen bekannt. Denn in Kuba existieren fast keine Partituren.

? Patrick und Roberto, Ihr seid auf Kuba in Archiven gewesen. Habt Ihr nichts gefunden?

Patrick: Nur sehr spärliches Material. Alle waren sehr hilfsbereit und haben herausgekramt was es gibt. Im Vergleich zu europäischen Musikarchiven ist das schon sehr dürftig. Ohne die Unterstützung von vielen Musikern und Olavo hätte ich mit diesem Material kein Programm machen können.

Roberto: Im Musikstudium in Kuba lernen die Studenten in erster Linie die klassische Musik aus Europa. Die Musik Kubas habe ich auf der Straße, in der Familie gelernt. Ich komme aus der Familie von Mongo Santamaria, der erste kubanische Grammy-Gewinner in USA, der Bruder meines Vaters. Er hat nie Noten schreiben oder lesen gelernt. Das ist typisch. Als ich nach Deutschland kam, haben mich Musiker damit gefoltert, dass ich die kubanischen Rhythmen aufschreiben soll. Aber Rhythmus ist Gefühl und nicht ein Blatt Papier.

? Olavo, wie ist diese kubanische Musik entstanden?

Olavo: In Kuba ist Musik zweifelsfrei die stärkste Kulturform. Ich habe die Ursprünge der Musik erforscht und sechs Gruppen ausgemacht, deren Leben einen Musikstil prägte: Der Son Cubano ist im Osten in der Sierra Maestra entstanden, auf den Kaffee- und Zuckerrohrplantagen. Hier haben sich die Trommeln der afrikanischen Sklaven mit den Gitarrenklängen der spanischen Bauern vermischt. Die typische Gesangsform ist ein Dialog, der oft improvisiert wird. Beim Son dreht sich alles um die Freude im Leben – die wir aber ohne Traurigkeit nicht empfinden können. Melodischer, sanfter ist die Punto Guajiro, die von den Tabakbauern im Westen, in der Region um Pinar del Rio gepflegt wird. Ganz anders die afrokubanische Rumba, die in den Städten, vor allem in Havanna und Matanzas, geboren wurde. Die Rumba ist eng mit der Tradition afrikanischer Religionen verknüpft, die von den Sklaven aus dem Kongo und Nigeria in Kuba strandeten. Hier dominieren die Trommeln und Rhythmen, spirituelle Gesänge. Die Lieder handeln vom Mut, den man zum Überleben benötigt – nicht ganz ungefährlich, denn die Mutigen landen oft im Gefängnis.

Die anderen drei Formen sind: der Danzon, beeinflusst von den französischen Einwanderern. Die Sklaven aus den französischen Kolonialländern entwickelten auch den Cha Cha Cha und Mambo. Nicht zu vergessen die Trovador-Lieder, die in Santiago de Cuba geboren wurden. Romantische Liebeslieder, von Straßenmusikanten mit der Gitarre.

Roberto: Viele dieser Rhythmen sind hier nicht bekannt. Aber die berühmtesten Musiker pilgern nach Kuba und saugen den Nektar. Wer weiß schon, dass Santana mit kubanischen Rhythmen Millionär geworden ist.

? Was interessiert einen Musiker aus der Pfalz an dieser Musica Cubana?

Patrick: Ich bin als Musiker universal interessiert. Ich liebe die Trinklieder aus der Weinregion Pfalz ebenso wie gregorianische oder keltische Musik, die Klänge aus dem Mittelalter genauso wie das was heute DJs hervorbringen. Deutschland ist ein Vielvölkergemisch mit viel unterschiedlicher Kultur. Ein Bayer versteht nicht ohne weiteres die Kultur in Ostfriesland. In Kuba kommen noch verschiedene Rassen hinzu – Indios, Afrikaner, Europäer – , das sind kunterbunte Wurzeln. Roberto hat mir den Zugang zu der Musik seiner Heimat ermöglicht. Schon als ich in Havanna auf dem Flughafen ankam, spürte ich: Hier ist die Musik zuhause. Je tiefer ich reinkam, desto mehr war ich begeistert. Ein Musikfreund kann sich Kuba nicht entziehen.

Olavo: Der Film Buena Vista hat die kubanische Musik und Salsa weltberühmt gemacht. Danach kamen viele nach Kuba und wollten das Land kennenlernen, aus dem diese Musik stammt. Und die Musikindustrie engagiert viele Bands. Aber in diesem Projekt geht es um eine sehr komplexe Thematik: Wir haben keine Noten, keine gedruckten Partituren. Manches gibt es vielleicht in New York, aber Patrick möchte die Originalmanuskripte in Kuba finden. Das ist eine ganz andere Annäherung, hat mich sehr beeindruckt.

Patrick: Wie die Kubaner ihre Musiktradition verteidigen, ist einzigartig. Die US-amerikanische Musikindustrie hat in den 20ern und auch den 50ern versucht, ihnen diese Musik zu entreißen.

Roberto: Sie haben für unseren Son Cubano sogar einen eigenen Marketingnamen erfunden: Salsa. Wenn ich in Europa die Salsa-Tänzer sehe, muss ich immer schmunzeln: Das ist der dekorative, sophisticated Stil aus New York. Kubanischer Tanz ist viel natürlicher.

? Olavo, was ist anders im Musikempfinden in Kuba?

Olavo: In Deutschland geht man ins Konzert, in die Oper, ins Theater. Dort wird sehr gute, schöne, professionell eingeübte Musik dargeboten. Meine Kommilitonen in Berlin haben mich oft gefragt: was hat eigentlich Kuba mit seiner Musik hervorgebracht Ein Schönheitselement, habe ich geantwortet: Wo gibt es Frauen, die einen so wiegenden, erotischen Gang haben wie in Kuba. Unsere Musik hat den Gang des Lebens verändert – das ist was Großes, oder nicht?

Roberto: In Deutschland gibt es ein Fest und kein Mensch singt oder tanzt. Alle reden über Geld und Poliitk. Wo ist da die Freude? Das ist in Kuba unvorstellbar.

? Ist bei uns was verloren gegangen, Patrick.

Patrick: Definitiv. Die neuen Medien haben hier viel verändert. Man konsumiert. Früher musste man sich mehr anstrengen und Musik zuhause selbst machen. Das begann mit dem Tonfilm und dem Radio. Dann kam das Internet. Aus Sicht der Musik ist das Embargo für Kuba vielleicht ein Segen gewesen – für viele neue Medien hatten sie kein Geld und die Einflüsse aus den USA waren nicht so massiv wie bei uns.

? Was wird das Kuba-Programm der Saloniker vermitteln?

Patrick: Es wird eine musikalische Reise über zwei Jahrhunderte Musikentstehung Kubas. Wir haben mehr als einhundert Partituren, die mit der Unterstützung vieler kubanischer Musiker entstanden sind. Das ist auf der Welt einzigartig. Ich bin glücklich, dass ich diese besitze und dem Salonikerpublikum ein ganz besonderes Erlebnis anbieten kann.

Wird es das Salonikerpublikum zu schätzen wissen?

Patrick: Mein Konzept ist es, dass ich den Graben zwischen Orchester und Publikum überspringen will. Die Zuhörer werden Beteiligte, sie lernen etwas und können mitmachen. Mit dem Kuba-Programm möchte ich die Leute zum Loslassen bringen. Da gibt es Widerstände, die Deutschen sind eher reserviert. Aber mit Roberto bringe ich sie dazu, dass sie Mocambique tanzen. Da hatten wir schon einige sehr begeisternde Erlebnisse.

? Kuba-Stimmung in einem deutschen Salonkonzert. In der Tat was Ungewöhnliches.

Olavo: Die beiden Länder und ihre Kulturen sind sehr unterschiedlich. Wir Kubaner leben nicht für die Arbeit wie man es den Deutschen nachsagt. Sondern für die Freude. Ein Kubaner ist immer bereit für die Party – schon deshalb, weil es zu wenig Arbeit gibt.

Roberto: Ich erinnere mich an Joseito Fernandez, der Guantanamera komponiert hat. Er ist immer mit dem Bus gefahren, war sehr elegant, komplett in Weiß gekleidet, die Cohiba im Mundwinkel. Gut gelaunt hat er uns Kinder begrüßt, Bonbons verteilt. Er war immer vorbereitet für ein Fest.

Olavo: Bei Fernandez kann man sagen: er hat die Freude in der Arbeit gefunden. Was gibt es Schöneres? Ja, unsere Helden sind nicht die Soldaten, sondern die Musiker.

Roberto: Ich lebe und arbeite gerne hier. Aber eines ist sicher: Auch in Deutschland bleibe ich Kubaner.

 

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